Bei der Aufklärung des gegenwärtigen Gefährdungspotentials des gesamten Orgacid-Geländes in Halle-Ammendorf, einst größter Produktionsstandort des chemischen Kampfstoffes Lost zur Zeit der NS-Diktatur in Deutschland, greift die Stadt Halle die Forderung des CDU-Landtagsabgeordneten Thomas Keindorf nach einer systematischen Vorgehensweise jetzt auf und kündigt eine abgestufte, umfangreiche Untersuchung an. „Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen ist die Durchführung einer „Historisch-Genetischen-Recherche“ (HGR) als erster Schritt notwendig. Potentielle Belastungsschwerpunkte lassen sich so eingrenzen. Nach dem Vorliegen der Ergebnisse stellen eine Detailuntersuchung gemäß Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV) und die Prüfung von Sanierungsmöglichkeiten die weiteren Handlungsoptionen dar“, erklärt dazu der Landtagsabgeordnete.
Bei ersten Vor-Untersuchungen im März 2019 wurden Abbauprodukte des chemischen Kampfstoffes Lost sowie Arsen im Grundwasser-Abstrom des Geländes nachgewiesen. Nach Einschätzung von Fachspezialisten werden an einigen Messstellen Geringfügigkeits-schwellenwerte überschritten, die bei der Beurteilung aufgrund fehlender Grenzwert-Bestimmungen relevant sind. „Die Aktenlage stützt die angekündigte Vorgehensweise der Verwaltung. Die Stadt Halle ist auf die Unterstützung von Bund und Land angewiesen“, ergänzt CDU-Stadtrat Johannes Streckenbach.

Geringfügigkeitsschwellenwerte für Grundwasser:
„Die Geringfügigkeitsschwelle (GFS) wird definiert als Konzentration, bei der trotz einer Erhöhung der Stoffgehalte gegenüber regionalen Hintergrundwerten keine relevanten ökotoxischen Wirkungen auftreten können und die Anforderungen der Trinkwasserverordnung oder entsprechend abgeleiteter Werte eingehalten werden. Damit soll das Grundwasser überall für den menschlichen Gebrauch als Trinkwasser nutzbar bleiben und als Lebensraum intakt gehalten werden, unter anderem, weil Grundwasser Bestandteil des Naturhaushalts ist und den Basisabfluss von Oberflächenwasser bildet oder den Charakter grundwasserabhängiger Landökosysteme beeinflusst.“ (LAWA 2017)

Hintergrund:
Nach Hinweisen von Bürgern im Sommer 2018 wurde das Grundwasser im Umfeld des Orgacid-Geländes im Oktober 2018 und März 2019 untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass Schadstoffe das Orgacid-Gelände mit dem Grundwasser-Abstrom verlassen. Auf der Beigeordnetenkonferenz des Oberbürgermeisters der Stadt Halle im März 2019 wurde eine „Detailuntersuchung“ des Geländes angekündigt. Zuletzt fanden im Jahr 2005 Nachsorge-Kontrollen des Grundwassers im Geländebereich statt. In Halle-Ammendorf wurden knapp 26.000 Tonnen und damit 86 Prozent aller im Zweiten Weltkrieg in Deutschland erzeugten Loste bzw. 37 Prozent aller in dieser Zeit erzeugten chemischen Kampfstoffe hergestellt. Eine systematische Untersuchung des Geländes fehlt nach Einschätzung von Fachspezialisten bis zum heutigen Tag.